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Begriffe

Jenische
Jenische bilden eine eigenständige Gruppe mit eigener Sprache. Sie leben in ganz Europa, hauptsächlich in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich. In der Schweiz sind es ca. 30‘000 Jenische, die meisten davon leben sesshaft. Rund 2‘000-3‘000 pflegen eine nomadische Lebensweise. Sie sind eine anerkannte kulturelle Minderheit der Schweiz.  Seit Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1970er Jahre haben die Behörden, teilweise auch gewaltsam, versucht, die fahrende Lebensweise zu unterdrücken und die Jenischen zur Sesshaftigkeit gezwungen.

Sinti / Manouches
Sinti (Einzahl: Sinto, weiblich: Sintezza oder Sintiza) nennen sich die Nachkommen jener Roma, die im 15. Jahrhundert nach Zentraleuropa ausgewandert sind. Sie leben vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien. Die im Vergleich mit den Jenischen zahlenmässig viel kleinere Gruppe der Sinti in der Schweiz hat sich mit den Jenischen vermischt. In Frankreich und in der Romandie nennt man sie auch Manouches, was - gleich wie der Begriff Sinti - ebenfalls «Menschen» bedeutet. Sinti sprechen eine Form des Romanes.

Roma
Roma (Einzahl: Rom, weiblich: Romni, plural: Romnia) bedeutet in der Sprache Romanes «Menschen». Roma ist der Oberbegriff für alle Angehörigen der verschiedenen Stämme, die Romanes sprechen oder von der Herkunft und Lebensweise her zu den Roma gehören. Ursprünglich waren die Roma in Indien und Persien beheimatet. Sie wanderten etwa ab dem 9. Jahrhundert in Hauptrichtung Europa aus. Das Romanes ist mit der indischen Ursprache Sanskrit eng verwandt. Man schätzt, dass es heute weltweit 8 bis 10 Millionen Roma gibt. International sind sie in der «Romani Union» organisiert, die 1979 von der UNO anerkannt wurde. Die meisten Roma leben sesshaft (nach Schätzungen von Roma-Organisationen ca. 80‘000 Personen in der Schweiz), ein kleiner Anteil lebt fahrend in Wohnwagen. .Roma, die die Schweiz im Sommer in ihren Wohnwagen in grossen Verbänden durchqueren, stammen meist aus Frankreich, Deutschland, Italien oder Spanien.

Fahrende
Dem Ausdruck «gens du voyage» liegt ein Begriff des französischen Rechts zugrunde, das Personen bezeichnet, die sich in Frankreich ohne festen Wohnsitz aufhalten. Damit soll eine Ethnisierung vermieden werden. In der Schweiz hat der Ausdruck «gens du voyage», bzw. «Fahrende» einen anderen Sinn und bezieht sich auf die fahrende Lebensweise. In einer weiteren Sicht bezeichnet er die Schweizer Fahrenden (Jenische und Sinti) und auch die ausländischen Roma. Die Schweizer Fahrenden (Jenische und Sinti) sind als nationale Minderheit anerkannt. Der Begriff «Fahrende» war zum Zeitpunkt der Anerkennung ein neutraler Begriff, der sich vom abwertend wahrgenommenen Begriff «Zigeuner» unterschied. Inzwischen wird von den Betroffenen der Begriff «Fahrende» als zu eindimensional wahrgenommen, da er die sesshaften Mitglieder der Gruppen nicht miteinbezieht.

Im September 2016 hat der Bund erklärt, dass künftig im Sprachgebrauch des Bundes auf den Begriff «Fahrende» verzichtet werde. Auszug aus der Rede von Bundesrat Alain Berset am 15. September 2015 anlässlich der «Fekkerchilbi» in Bern: „Sie sind als nationale Minderheit anerkannt. [...] [Sie fordern], dass Sie auch so genannt werden, wie Sie sich selber nennen, nämlich Jenische und Sinti. Und eben nicht einfach „Fahrende", weil viele von Ihnen nicht fahrend leben. Ich anerkenne diese Forderung nach Selbstbezeichnung. [...].Das ist nicht Wortklauberei, mit Sprache schafft man Realität."

Fahrende Lebensweise

Die fahrende Lebensweise wird heute nur noch von einer Minderheit von rund 2‘000 - 3‘000 Personen ausgeübt.[1] Trotzdem bleibt das Nomadentum ein bestimmendes Merkmal der kulturellen Identität der Jenischen und Sinti. Die meisten Schweizer Jenischen und Sinti, die fahrend leben, verbringen den Winter auf einem Standplatz in Wohnwagen, Holzchalets oder Containern. Ihre Kinder besuchen dort die Quartier- oder Dorfschule, und die Familien sind auf der Gemeinde angemeldet. Sie sind oft in traditionellen Berufen tätig ( zum Beispiel als Scherenschleifer, Schirmflicker, Korbflechter, Schausteller oder Marktfahrer) und bieten daneben verschiedene Handwerkerdienste an, reparieren und schleifen z.B. Rasenmäher und Aktenvernichter, richten Herdplatten, restaurieren Möbel und Lampen oder handeln mit Altmetall, Kleidern, Teppichen oder Antiquitäten, meistens als Selbständigerwerbende. Während der Sommermonate sind die Jenischen und Sinti in kleinen Gruppen innerhalb der Schweiz unterwegs, halten ein oder zwei Wochen auf Durchgangsplätzen und besuchen von dort aus ihre Kunden. Die Kinder lassen sich während dieser Zeit von ihrer angestammten Schule den Unterrichtsstoff nachsenden und schicken die Aufgaben zur Korrektur an die Lehrkräfte zurück.

Sprache

Die Jenischen pflegen eine eigene Sprache, das «Jenische». Diese gesprochene Sprache hat den Charakter einer Schutzsprache und wird zumeist nur innerhalb der Gruppe verwendet und weitergegeben. Das Jenische gilt als «Soziolekt» oder als Sondersprache. Die Sprechenden verwenden dabei in der Regel die grammatische Struktur der deutschen Sprache.
Die in der Schweiz lebenden Sinti verwenden das Romanes, die traditionelle Sprache der ursprünglich aus dem Nordwesten Indiens stammenden Roma. Romanés ist eine indoarische Sprache aus der gleichen Gruppe wie das Hindi oder Sanskrit und mit Einflüssen von griechischen, germanischen, slawischen, baltischen und weiteren Sprachen.

Vergangenheitsbewältigung

Das Verhältnis der offiziellen Schweiz und der Schweizer Mehrheitsgesellschaft zu den Minderheiten der Jenischen und Sinti und Roma war bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts von Ausschluss und Versuchen zur erzwungenen Integration gekennzeichnet. Die fahrende Lebensweise galt als unstet und darum verdächtig. Diese Politik gipfelte in dem seit 1926 von der Stiftung Pro Juventute betriebenen «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse». Mit Unterstützung der Vormundschaftsbehörden wurden Kinder jenischer Herkunft ihren Familien entzogen, in Heimen oder Anstalten interniert sowie in Fremdfamilien platziert. Es kam auch zu Zwangssterilisationen. Für die Kindswegnahme war nicht die reale fahrende Lebensweise der Eltern entscheidend, sondern die Zugehörigkeit zu einer der als asozial und schädlich eingestuften Randgruppen (Kessler, Korber, Hausierer etc.). Dem «Hilfswerk» fielen rund 600 Kinder zum Opfer, die meisten aus den Kantonen Graubünden, Tessin, St. Gallen und Schwyz.
Im Zuge einer breiten öffentlichen Debatte zum Heimwesen und auf Druck der Medien - vorab des «Schweizerischen Beobachters» - wurde das Programm 1973 eingestellt. Die Proteste der Betroffenen führten zur Gründung von jenischen Organisationen wie der «Radgenossenschaft der Landstrasse» oder «Naschet-Jenische».
Ab den 1980er Jahren begann der Bund, sich für die Wiedergutmachung des Unrechts und für die Anerkennung und den Schutz der Minderheiten der Jenischen und Sinti einzusetzen. Wichtige Etappen auf diesem Weg waren:
─ Am 3. Juni 1986 entschuldigt sich Bundespräsident Alfons Egli vor den eidgenössischen Räten bei den Betroffenen für das im Rahmen der Aktion «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» den Jenischen angetane Unrecht. Das Parlament beschliesst, eine umfassende Untersuchung über das «Hilfswerk» durchzuführen.
─ 1988 werden im Rahmen der Aufarbeitung der Aktion «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» eine Akten- und eine Fondskommission eingesetzt mit dem Ziel, den Betroffenen die Einsicht in ihre Akten zu ermöglichen. Bis 1992 werden finanzielle Entschädigungen an die Opfer in der Höhe von insgesamt 11 Millionen Franken entrichtet.
─ 1995 gründet der Bund die Stiftung «Zukunft für Schweizer Fahrende». Die Stiftung ermöglicht im Sinne einer ständigen Konferenz die Zusammenarbeit unter den Behörden der verschiedenen staatlichen Ebenen und den Organisationen der Jenischen und Sinti. Mit ihrer Arbeit soll sie zur Verbesserung der Lebensbedingungen der nomadisch lebenden Minderheiten und zur Bewahrung der kulturellen Identität der Jenischen und Sinti beitragen.
─ Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP 51 zum Thema Integration und Ausschluss werden von 2003 bis 2009 verschiedene Untersuchungen zur Geschichte der Jenischen, Sinti und Roma veröffentlicht mit dem Fokus auf der Konstruktion von Identität und Differenz.
─ Am 30. September 2016 verabschieden die eidgenössischen Räte das «Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981». Das Gesetz sieht eine finanzielle Entschädigung von 300 Millionen Franken für von Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor. Akten werden aufbewahrt, Betroffene erhalten Einsicht; der Bundesrat sorgt für eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung der Zwangsmassnahmen; die Kantone richten Anlauf- und Beratungsstellen ein. Unter den Betroffenen sind viele Jenische, die ihren Eltern entrissen wurden.

Letzte Änderung 15.07.2019

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