Was ist das ISOS?
Das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) ist ein Ortsbildinventar. Bei einem Ortsbildinventar sind nicht nur die Bauten eines Orts Gegenstand der Untersuchung, sondern die Siedlung in ihrer Gesamtheit, also auch Strassen, Plätze, Gärten und andere Frei- und Grünflächen sowie die Umgebung des Gebauten. Das ISOS zeigt, was an einem Ortsbild wertvoll ist. Es erlaubt Planerinnen und Planern, Architektinnen und Architekten sowie Baubehörden sensibel auf die wertvollen Qualitäten des Ortsbilds zu reagieren und dazu beizutragen, seinen nationalen Wert zu erhalten.
Welche Elemente enthält eine ISOS-Aufnahme?
Eine ISOS-Aufnahme enthält einen Plan, auf dem die Gliederung der verschiedenen Ortsbildteile abgebildet ist, eine Planlegende mit der Bewertung der Ortsbildteile, einen Text zur Ortsgeschichte, einen Beschrieb des Ortsbilds zum Zeitpunkt der Inventarisierung sowie diverse Fotografien, welche den Beschrieb illustrieren. Dazu kommen eine allgemeine Bewertung des Ortsbilds sowie spezielle Empfehlungen zur Erhaltung und Vorschläge zur Verbesserung des Ortsbilds. Die Ortsbildaufnahmen ab 2021 enthalten auch die bereits bestehenden Schutzmassnahmen.
Wer entscheidet, welche Ortsbilder die nationale Bedeutung verdienen?
Die Revision des ISOS erfolgt kantonsweise. Sie entspricht einem präzisen Verfahren. In einem ersten Schritt besuchen Vertreterinnen und Vertreter des Bundesamts für Kultur (BAK), Fachleute des jeweiligen Kantons sowie Mitglieder des ständigen Bewertungsausschusses ISOS – ein Gremium von Fachleuten der Denkmalpflege, des Ortsbild-, Natur- und Landschaftsschutzes sowie der Raumplanung – die Ortsbilder des Kantons und prüfen, wie ihre Lagequalitäten und ihre räumlichen und architekturhistorischen Qualitäten sich seit der letzten Aufnahme entwickelt haben. Aufgrund dieser Prüfung werden Änderungsvorschläge in der Liste der Ortsbilder von nationaler Bedeutung gesammelt. Das Urteil der Fachleute gilt als Empfehlung. In einer zweiten Phase wird auf kantonaler Stufe der Regierungsrat angehört. Der Beschluss, ein Ortsbild ins ISOS aufzunehmen oder aus dem ISOS zu streichen, liegt beim Bundesrat: Die jeweils gültigen Objekte sind im Anhang 1 der Verordnung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (VISOS; SR 451.12) aufgelistet.
Was sind die Kriterien bei der Auswahl?
Jedes Ortsbild wird im kantonalen und regionalen Vergleich je nach Siedlungsgattung (Stadt, Kleinstadt/Flecken, verstädtertes Dorf, Dorf, Weiler, Spezialfall) bewertet. Für die nationale Bedeutung sind die Lagequalitäten sowie die räumlichen und architekturhistorischen Qualitäten des Ortsbilds ausschlaggebend. Darüber hinaus kann der archäologische Wert, der geschichtliche oder der volkskundliche Wert die Bewertung eines Ortsbilds beeinflussen.
Warum ist beim Erlass des ISOS keine Mitwirkung der Bevölkerung vorgesehen?
Das liegt in der Natur des ISOS. Dieses bildet keine absolute Schutzmassnahme und keine Planung. Das Schutzkonzept des Bundesgesetzes über den Natur-und Heimatschutz (NHG) sieht vor, dass das Inventar die Objekte von nationaler Bedeutung nach einheitlichen, objektiven Kriterien erfasst. Bei der Aufnahme wird keine planerische Interessensabwägung zwischen Schutz und Ansprüchen der Nutzung durchgeführt. Diese erfolgt erst in den nachfolgenden Planungs- und Bewilligungsverfahren.
Welche Rechtswirkung hat das ISOS?
Das ISOS entfaltet unterschiedliche Rechtswirkungen, je nachdem ob eine Bundesaufgabe vorliegt oder eine kantonale bzw. kommunale Aufgabe. Ganz allgemein bedeutet die Aufnahme eines Ortsbilds ins ISOS, dass es in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung verdient, jedenfalls aber die grösstmögliche Schonung (Art. 6 NHG). Bei der Erfüllung von Bundesaufgaben – beispielsweise wenn der Bund Werke und Anlagen plant, errichtet oder verändert, wenn er Konzessionen und Bewilligungen erteilt, wenn er Subventionen gewährt oder wenn ein Bauprojekt ausserhalb der Bauzone besteht oder bis zum Grundwasserspiegel reicht – darf ein Abweichen von den Erhaltungszielen des ISOS nur in Erwägung gezogen werden, wenn gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen. Weil gemäss Art. 78 der Bundesverfassung die Kantone für den Natur- und Heimatschutz zuständig sind, kommt dem ISOS bei der Erfüllung von kantonalen und kommunalen Aufgaben eine mittelbare Wirkung zu. Gemäss Art. 11 der Verordnung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (VISOS) müssen Kantone und Gemeinden das ISOS bei der Erarbeitung ihrer jeweiligen Planungen berücksichtigen. Dabei haben sie einen relativ grossen Ermessensspielraum. Sie können grundsätzlich von den Zielen des ISOS abweichen, wenn überwiegende Interessen bestehen.
Ist das ISOS im Rahmen der Richt- und Nutzungsplanung eins zu eins zu übernehmen?
Bei der Erstellung von kantonalen oder kommunalen Planungen müssen die Behörden die Erhaltungsziele des ISOS berücksichtigen. Die Erhaltungsziele haben jedoch in diesem Kontext nur indirekte und keinesfalls absolute Verbindlichkeit. Neben dem ISOS sind dazu meistens zahlreiche weitere Gesichtspunkte einzubeziehen.
Wie kann es sein, dass ein Bundesinventar ganze Ortschaften unter Schutz stellt?
Das ISOS würdigt Qualität, es stellt nichts direkt unter Schutz. Das Inventar macht deutlich, wie gross die Siedlungsvielfalt der Schweiz ist. Es ermöglicht, Entwicklung und Identitäten der Orte zu verstehen. Es zeigt, was für einen Ort charakteristisch ist und es schärft den Blick für die Qualität des Alltäglichen. Das Inventar soll als Entscheidungsgrundlage bei planerischen Massnahmen beigezogen werden, um die wertvollsten Schweizer Ortsbilder bestmöglich erhalten zu können. Dies entspricht einem Verfassungsauftrag.
Ist Entwicklung in einem ISOS-Ortsbild überhaupt möglich?
Bauliche Erneuerung ist auch in Ortsbildern von nationaler Bedeutung möglich. Das ISOS verhindert diese Erneuerung nicht, sondern formuliert Erhaltungsziele für das Ortsbild, die bei der Planung zu berücksichtigen sind. Das ISOS zeigt auf, wo die baukulturellen Werte eines Ortsbildes liegen. Dies fördert auch den partizipativen Diskurs. Das ISOS ermöglicht eine fundierte Auseinandersetzung mit dem baukulturellen Erbe und fördert die qualitätsvolle Weiterentwicklung unserer Siedlungen.